Freitag, 21. Dezember 2012

Eine Geschichte von Stefan Bohlander

"Mist", dachte er, als er im Spiegel die Pilzkultur beobachtete, die sich immer weiter auf seinem Rücken ausbreitete. In seinem selbstgefälligen, kleinen Leben, das umgeben war von Schönheit, Geld und Macht war ihm so etwas noch nie passiert. Noch nie hatte ein Fremdkörper länger als zwei Tage an ihm gehaftet.

Das Längste war in seiner Jugend, als der erste Pickel seine Haut zierte. Damals war er noch unerfahren, kratzte ihn auf und der Saft floss munter aus seiner Umhüllung. Und da er, wie gesagt, unerfahren war, keine Ahnung hatte, was das war, wie es auf seine Haut kam und was es dort beabsichtigte und er unter seiner schönen, reichen und mächtigen Hülle geistig etwas labil war, nahm er kurzerhand seinen rechten Zeigefinger, ließ ihn über diesen weißen Saft laufen, wischte ihn ab und kostete davon. Der dadurch entstandene Fleck blieb fünf Tage lang an seinem Platz und flätzte sich in der Sonne.

Ansonsten waren es nur kurze Gastspiele auf seinem Körper. Aber das... Pilze... auf seinem Körper... Unverschämtheit... Seit acht Monaten, einer Woche und drei Tagen hatte er keinen Sex mehr gehabt - keinen richtigen... mit einer dieser strohdummen, silikongestopften Strandschönheiten, die mit Mühe und großer Not - aber immer süße lächelnd - ein lächerliches Abbild des Alphabets zusammenbrachten. Er wusste schon gar nicht mehr, wie man Sexh richtig schreibt. Er hatte sich ausgeschlossen von der Welt. Von dieser kalten, abweisenden Welt, die einen nur mochte, wenn man schön, reich und mächtig war.

Und dann war da noch dieser Geruch.

Als ob jemand vergessen hatte, die Tür zur Schweinepferch zu schließen und sich Tausende von mikroskopisch kleinen Aromawölkchen systematisch ausbreiteten und den gesamten Platz für sich beanspruchen wollten.

Und es wurde nicht besser...

Sein Hausmädchen war nur unter der Bedingung geblieben, dass sie ab dem nächsten ersten eine 200%ige Gehaltserhöhung erhielt. Da er Schwierigkeiten hatte, ein neues zu finden, willigte er widerwillig ein. Verständlich, denn wer arbeitet schon gerne für jemand, der aussieht wie ein Camembert? Auch bei mehreren Ärzten war er schon gewesen. Der einzige Erfolg, den er dadurch verbuchen konnte, war ein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, dank der meisten Überweisungen innerhalb eines Monats.

Nein, er war fertig, er wollte nicht mehr.

Seine Gliedmaßen fingen schon an, abzufallen; angefangen bei den Zehen, über die Füße bis hin zu seinen Ohren. Aus den zurückgebliebenen Stümpfen wuchsen Pilze, die sich schon langsam mit dem Boden verbanden. Die abgefallenen Glieder sammelte er und legte sie auf einen Haufen. Daraus wurde Humus. Guter Boden. Exzellenter Boden. So exzellent, dass die Pilze von seinem Körper sich mit ihm verbanden.

Zum Sammeln benutzte er seine Finger, die ihm noch verblieben waren.

Dieselben Finger, die er dazu benutzt hatte, seine Pistole aus der Schublade zu holen. Die jetzt zittrig den Lauf der Pistole in seinen geöffneten Mund bewegten.

Dann drückte er zittrig den Abzug und sackte kraftlos zusammen.

Und in diesem Augenblick, in diesem winzig kleinen Augenblick, der verging, während die Kugel sich durch den Hinterkopf bohrte, sich ihren Weg durch die Haare und die Pilze bahnte, die darauf wucherten, wusste er plötzlich, was die ganze Zeit so verschleiert vor seinem geistigen Auge hin- und hergeflattert war.

Er wusste, warum ihm dies passierte.

Er hatte in seinem Leben so viel Scheiße geredet und gemacht, dass einfach alles auf ihn abgeladen wurde. Pilze wuchsen bekanntlich gut auf Mist. Und bei so einem Scheißhaufen wie er es war, mußten die Pilze ja gut gedeihen. Und in diesem Augenblick musste er lauthals anfangen zu lachen. Irrationalerweise ein ziemlich befreiendes Lachen. Die ganze Zeit über war es so klar gewesen. Einfach weil er so ein Mistkerl war.

Und dann stutze er.

Warum konnte er eigentlich noch lachen, wenn er sich doch gerade die Kugel gegeben hatte ?

Er schaute hinter sich. Blut, klebrige Haare voller Blut, klebrige Pilze voller Blut und klebrige Gehirnstücke voller Blut waren da, wie erwartet.
Und trotzdem konnte er noch lachen.

Er sah, wie aus seinen Gehirnstücken Pilze wucherten.
Und trotzdem konnte er noch lachen.

Er sah, wie sich diese Pilze immer weiter vermehrten.
Und trotzdem konnte er noch lachen.

Es konnte sich nur um einen Traum handeln. Ein Traum, der niemals enden würde. Ein Traum, ein Albtraum, der daraus bestand, dass Pilze in seinem Haus wucherten, in seinem Auto, auf seiner Haushälterin, auf seinem Blu-Ray-Spieler, in seinem Inneren, in seinem Ich.

Und trotzdem konnte er noch lachen...





(C) Stefan.Bohlander@gmx.de

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